(abg) Es ging hoch her in der letzten Woche: Die Gemeinde Gsteig hat den Businessplan der GSS, soweit die GSS ihn überhaupt offenlegen wollte, prüfen lassen. Und die Züricher Experten von Muller Healthcare Consulting kamen im Endergebnis zu einem vernichtenden Urteil: Finanziell nicht überlebensfähig sei die GSS in dem geplanten Projekt. Und die GSS? Die zeigte sich sichtlich nervös und in die Enge getrieben, schlug auf ihrer eigenen Medienkonferenz am 7. November in Zweisimmen wild zurück und versuchte, die Experten von Muller als ahnungslose Vollidioten darzustellen. Zeit also, sich mal mit den Fakten zu beschäftigen.
Zur Erinnerung: Über 60 Seiten Umfang hat der Bericht der Muller Healthcare Consulting, den die Gemeinde Gsteig hier veröffentlicht hat. Keine ganz leichte Kost, aber dennoch einen Blick wert. Dagegen setzte die GSS eine Medienmitteilung, die die GSS allerdings nicht auf ihrer eigenen Website veröffentlichte. Aber Medienmitteilungen werden natürlich von Medien aufgegriffen und so findet sich die Erklärung zum Beispiel hier bei der Simmental Zeitung. Gehen wir also die Kritikpunkte mal der Reihe nach durch – so viele sind es ja nicht.
Mindestfallzahlen
Die Muller Healthcare stellt infrage, ob die GSS in ihrem Konzept für zusätzliche stationäre Fälle die erforderlichen Mindestfallzahlen erreicht. Für die GSS ist das offenbar ein völlig haltloser Zweifel und so antwortet die GSS: «Der Businessplan beruht auf tatsächlich geleisteten Fallzahlen (vgl. MedStat-Statistik für die Regionen Nieder- und Obersimmental sowie Saanenland).»
Die Antwort der GSS ist – man kann es nicht anders sagen – bewusst irreführend. Muller bezieht sich bei «Mindestfallzahlen» nämlich ausschliesslich auf elektive Knie- und Hüftprothesen (Erstprothesen), vgl. S. 19 im Bericht. Richtig ist also zunächst: die «tatsächlich geleisteten Fallzahlen» am Spital Zweisimmen bei diesen Eingriffen sind derzeit genau Null. Ja, richtig: solche Operationen werden derzeit und seit vielen Jahren schon am Spital Zweisimmen überhaupt nicht mehr durchgeführt. Die GSS hofft also lediglich, dass bei einem entsprechenden Angebot in Zweisimmen, sich auch genug Patienten hier operieren lassen. Diese Hoffnung kann man teilen oder nicht. Gründe, warum sich Patienten für Zweisimmen entscheiden sollten, liefert die GSS leider nicht. Gründe, warum sich Patienten tendenziell eher gegen Zweisimmen entscheiden sollten, liefert Muller Healthcare hingegegen schon:
Aber über welche Zahlen reden wir überhaupt? Nun: die Mindestfallzahlen für künstliche Knie und künstliche Hüften liegen im Kanton Bern bei jeweils 20 pro Jahr. Die GSS will diese Zahlen gerade so erreichen. Doch wieviel sind denn 20 solche Eingriffe pro Jahr, wenn es um die Qualität geht?
Ergebnis: Ein Spital, dass gerade mal an den Mindestfallzahlen kratzt, wird absehbar schlechtere Operationsergebnisse bringen, als ein Spital mit 200 oder mehr Knie- und Hüftprothesen pro Jahr. Und wenn es in Zweisimmen bei solchen Operationen doch einmal zu Komplikationen käme? Dann wäre der operierende Belegarzt schon längst wieder weg und die Probleme müssten von den Ärzten gelöst werden, die überhaupt nicht auf diese Eingriffe spezialisiert sind.
Also mal ehrlich: Würden Sie sich ein Knie oder eine Hüfte in Zweisimmen einbauen lassen, wenn Sie das auch bei einem routinierten Spezialisten auswärts tun könnten? Eben. Und deshalb sind die Zweifel von Muller Healthcare auch gut begründet, während die Hoffnung der GSS eben nichts anderes ist, als Zweckoptimismus, der mit der Realität nichts zu tun hat.
Basispreis
Dreh- und Angelpunkt aller Ertragsrechnungen ist der sogenannte «Basispreis». Bei stationären Behandlungen wird je nach Aufwand und Schwierigkeit des Falles ein Faktor bestimmt und mit dem Basispreis multipliziert – das ist der Ertrag, den ein Spital mit dem Fall generiert. Damit ist klar: je höher der Basispreis ist, den ein Spital mit den Versicherern aushandelt, umso besser wird es für seine Fälle bezahlt. Generell gilt dabei die Faustregel: je grösser ein Spital ist, desto höher ist der Basispreis. Oder mal etwas böse ausgedrückt: Grosse Spitäler sind teurer und das wird von Politik und Versicherungen auch willig akzeptiert.
Derzeit ist das Spital Zweisimmen Teil der Spital STS AG und die hat einen Basispreis von 9900 Franken ausgehandelt. Unabhängig davon, ob Behandlungen in Thun oder in Zweisimmen stattfinden, profitiert Zweisimmen derzeit vom «grossen» Spital Thun mit seinem hohen Basispreis. Was also ist zu erwarten, wenn Zweisimmen eigenständig wird und selbst mit den Versicherungen einen Basispreis aushandeln muss?
Die GSS geht laut ihrem «Bericht zum Businessplan» im neutralen Szenario davon aus, dass auch ein unabhängiges Spital Zweisimmen denselben Basispreis aushandeln kann, wie die Spital STS AG, nämlich 9900 Franken. Die Muller Healthcare zieht dies in Zweifel:
Dabei setzt Muller Healtcare im Übrigen nicht Hohmad und Siloah einfach mit Zweisimmen gleich, so dass hier auch keineswegs «Äpfel mit Birnen» verglichen werden. Muller zeigt lediglich auf, dass kleinere Spitäler tendenziell nur niedrigere Basispreise aushandeln können. Im Übrigen hat auch Siloah eine Art «Notfallbetrieb», der sich in den unterschiedlichen Tarifen widerspiegelt.
Fazit: Die GSS geht in grenzenlosem Optimismus vom bestmöglichen Fall bei der Basisrate aus und erklärt jeden für ahnungslos, der diesen Optimismus in Zweifel zieht. Muller Healthcare hingegen betrachtet die Möglichkeiten beim Basispreis mit nüchternem Realismus und nimmt einen Basispreis an, der sich schlüssig in das Gefüge der Berner Spitäler einordnet.
Ertrag
Muller Healthcare rechnet in seinem Bericht jeden Teil der zukünftigen GSS, also Spital, Alterswohnen, Spitex, Maternité Alpine, einzeln und transparent durch. So wird für das Spital auf Basis der getroffenen Annahmen für das Jahr 2025 ein Patientenertrag von insgesamt knapp 16,5 Mio Franken errechnet (siehe Bericht von Muller Healthcare Consulting, Seite 30).
Die GSS AG hat separate Planrechnungen für die einzelnen geplanten Unternehmensteile nie veröffentlicht. Und will dies offenbar auch nicht tun. Stattdessen heisst es: «Der im Gutachten prognostizierte Betriebsertrag liegt um rund zwei Mio. Franken unter dem tatsächlichen Betriebsertrag am Spital Zweisimmen in den Jahren 2019 bis 2022. Sogar im Corona-Jahr 2021 lag der effektive Betriebsertrag im Spital Zweisimmen höher als der angegebene Wert im Gutachten. Gleiches gilt für den effektiven ambulanten Betriebsertrag.»
Aber was bedeutet die Aussage der GSS nun? Tatsächlich wenig: Denn zweifellos sind die Patientenzahlen am Spital Zweisimmen stets rückläufig und besonders im stationären Bereich. Kombiniert man dies mit einem niedrigeren Basispreis (siehe oben), den ein Spital Zweisimmen wohl erhalten würde, wenn es sich ohne den «grossen Partner» Spital STS AG an den Verhandlungstisch mit den Versicherern setzen müsste, dann ist es nur logisch, dass die Erträge Jahr für Jahr niedriger werden. Dass die GSS hingegen mit steigenden Erträgen rechnet, ist schlicht nicht rational nachvollziehbar und von der GSS auch nie plausibel begründet worden.
Ergebnis: Es wäre hilfreich, wenn die GSS transparent offenlegen würde, wie sie zu ihren optimistischen Einschätzungen zur Ertragsentwicklung eines Spitals Zweisimmen ab 2025 kommt. Muller Healthcare Consulting hat jedenfalls in seinem Bericht plausibel dargelegt, warum bei nüchterner Betrachtung der Lage mit deutlich niedrigeren Erträgen zu rechnen ist. Gegenargumente der GSS fehlen leider.
Spitalneubau: Das Fass ohne Boden wird dem Projekt endgültig das Genick brechen
«Der Neubau eines Spitals mit der für das vorgesehene Leistungsangebot erforderlichen Infrastruktur ist für die vorgesehene Investitionssumme schlicht und einfach nicht realisierbar», machte Muller Healtcare auf Seite 56 seines Berichts völlig unmissverständlich deutlich. Etwas, was auf rinderberg-news unter dem Titel «Ein Spital für 27 Millionen? Daran glaubt nicht mal die GSS…» letztlich auch schon nachzulesen war. Doch Muller Healthcare geht noch deutlich weiter und mit deutlich präziseren Argumenten.
Und die GSS? Ganz nach dem Motto «Was nicht sein darf, das nicht sein kann» stellt sie sich trotzig wie ein kleines Kind auf den Standpunkt, dass es aber gehen müsse: «Das Gutachten rechnet mit Investitionen von 55 Mio. Franken. Das entspricht der Grössenordnung des Projektes Dr. House der Spital STS AG, das vom Kanton bereits im Jahr 2017 als zu teuer erachtet wurde und damit zur Gründung der GSS geführt hat. Die GSS hat mit erfahrenen Spitalplanern zusammengearbeitet. Die veranschlagten Neubaukosten von 27 Mio. Franken entsprechen bereits realisierten und geplanten Akutspitalbauprojekten der letzten Jahre in der Schweiz und lassen sich nachhaltig finanzieren.»
Ok, also warum kann es für 27 Millionen nicht gehen? Muller Healthcare listet auf den Seiten 28 und 29 seines Berichts auf:
- Auf den Grundrissplänen scheint kein Labor vorgesehen, welches aber vom Kanton als «in-house» vorgeschrieben wird, selbst wenn ein externer Dienstleister die Leistungen erbringen kann.
(Anmerkung rinderberg-news: Im Grundriss ist nur ein sog. POCT-Labor vorgesehen – ein Automatenlabor vergleichbar mit dem in einer Arztpraxis. Viel zu klein, ohne Abluft, ohne Fenster. Das erfüllt nicht die Anforderungen des Kantons für ein Spitallabor). - Auf den Plänen sind keine Aufbahrungsräume ersichtlich.
(Anmerkung rinderberg-news: Hier scheint Muller Healthcare tatsächlich falsch zu liegen. Unter dem Titel «Prosektur» sind Räumlichkeiten für die Lagerung von Leichen vorgesehen.) - Auf der Bettenabteilung fehlen wichtige Nebenräume (z.B. Ausguss, Stationszimmer, WC-Anlagen).
- Bezüglich der vorgeschriebenen Intensivstation gehen wir davon aus, dass die GSS einen Kooperationsvertrag mit einem anderen Spital mit Intensivstation (IS Level 2) aufgegleist hat und somit der Aufwachraum als IS Level 1 genutzt werden kann.
- Die Logistik- und Lagerflächen scheinen allgemein knapp bemessen.
- Der Operationstrakt scheint knapp bemessen, wobei aber auch fraglich ist, ob 4 OP-Säle benötigt werden.
(Anmerkung rinderberg-news: Die geplanten zwei OP-Säle scheinen Muller Healthcare knapp bemessen, doch hält man offenbar vier OP-Säle auch nicht für erforderlich. Im Übrigen sind die geplanten zwei Säle für bestimmte vorgesehene Operationen als zu klein eingeschätzt – insbes. für die von der GSS geplante Wirbelsäulenchirurgie). - Es sind keine Räumlichkeiten für Physio- oder andere Therapien vorgesehen.
(Anmerkung rinderberg-news: Die gewünschte Integration aller Leistungserbringer müsste sinnvollerweise auch die Physiotherapie einschliessen. Räumlichkeiten sind dafür aber in der Tat nicht eingeplant.) - Es sind keine Dialyseplätze vorgesehen.
(Anmerkung rinderberg-news: In der Tat – die Dialyse wurde von der GSS komplett «vergessen»). - Das Fehlen einer Unterkellerung führt dazu, dass keine Schutzräume vorgesehen sind. Diese sind jedoch vom Kanton vorgeschrieben.
(Anmerkung rinderberg-news: Ein kapitaler Fehler der GSS. Gem. Art. 61 Abs. 2 BZG gilt: «Die Eigentümer und Eigentümerinnen von Heimen oder Spitälern haben bei deren Bau Schutzräume zu erstellen und auszurüsten. Ist dies aus technischen Gründen nicht möglich, so haben sie einen Ersatzbeitrag zu entrichten.» Das heisst: Während bei Wohnbauten von der Schutzraumpflicht gegen Ausgleichzahlung abgesehen werden kann, geht das bei Spitälern nicht bzw. nur bei technischer Unmöglichkeit. Technisch unmöglich sind Schutzbauten unter einem neuen Spital aber gerade nicht, wie der Neubau von Bergsonne und Bergquelle in Zweisimmen gezeigt hat, wo Schutzräume mit entsprechender Sicherung und Lüftung installiert wurden. Hier sind also bereits weitere Millionen-Mehrausgaben absehbar.) - Es fehlen diverse Einzelräume (z.B. MRT-Technikraum, Gipszimmer)
Ergebnis: Ein Spital für 27 Millionen kann es nicht geben – egal wie sehr sich das auch GSS und Bevölkerung wünschen. Und wenn man sich die absehbar erforderlichen 50-60 Millionen nicht leisten kann, dann muss man sich fragen, ob man überhaupt mit viel Geld starten sollte. Wenn man absehbar nach zwei Jahren finanziell und von der Gebäudesubstanz am Ende sein wird.
Wer gerne ein Chalet in Gstaad kaufen möchte aber nur Geld für eine Scheune in Boltigen hat, der kann sich eben kein Chalet in Gstaad leisten. Alles andere ist illusorisch. Letztlich werden die Gemeinden über zusätzliche Beiträge und Bürgschaften die Suppe über die nächsten 20-30 Jahre auslöffeln müssen. Dann wird es längst kein Spital mehr geben, aber noch die Schulden, die zukünftige Generationen zurückzahlen müssen.
Alterswohnen und Nebengebäude
Bekanntermassen hatte die Alterswohnen STS geplant, für rund 18 Mio Franken einen Neubau zu realisieren. Für gemeinsam genutzte Einrichtungen wie Küche und Wäscherei, aber auch für die bislang im Spitalgebäude untergebrachten Demenzpatienten. Das Projekt wurde gestoppt, da der Bau bei der von der GSS geplanten Zerschlagung der Alterswohnen STS AG nicht mehr finanziert werden kann. Die GSS muss also selbst Lösungen finden.
Dreieinhalb Jahre hat die GSS geplant. Und jetzt einen sog. Businessplan vorgelegt. Und sie muss eingestehen, dass sie für die Finanzierung zwingend erforderlicher Gebäude in der Grössenordnung von 10-15 Mio Franken noch nicht die geringste Idee hat, woher das Geld kommen soll.
Immerhin. So viel Einsicht liegt vor. Nur eben keine Lösung des Problems.
Fazit
Wer jetzt Ja sagt zum unausgereiften und überoptimistischen Plan der GSS, der sagt Ja zum krachenden Scheitern der gesamten Gesundheitsversorgung in der Region mit Millionenschulden, auf denen die Gemeinden letztlich sitzen bleiben und noch Jahrzehnte abzahlen müssen. Und einem ruinierten Alterswohnen, welches die GSS zum Stopfen der absehbaren Finanzlöcher missbrauchen will.
Zweifellos: Ein Nein führt auch in eine ungewisse Zukunft. Letztlich wird das Spital aber mit der GSS nicht zu halten sein und das bedeutet, dass ein Nein keine schlimmeren Konsequenzen hat, als ein Ja. Nur ohne die ca. 40-60 Millionen Franken Schulden, die die Gemeinden in den nächsten Jahren noch zusätzlich anhäufen müssten, wenn sie die GSS nicht frühzeitig in einen Konkurs laufen lassen wollen.
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Was rinderberg-news schon vor Monaten feststellte, wird durch das Gutachten der Gemeinde Gsteig mehr als bestätigt. Statt mit einem transparenten Zahlengebilde, kontert die GSS mit wilden und unhaltbaren (siehe obigen Bericht) Anschuldigungen. Mit Fakten und Zahlen etwas beweisen kann sie leider nicht. Nach vier Jahren Planung ist sie nicht einmal im Stande vollständige Pläne für ein Akut-Spital zu liefern oder eine Lösung für die Finanzierung der Küche und Wäscherei für die Bergsonne sowie die Siebzehn Plätze für die Demenzabteilung. Ein Armutszeugnis!
Wirbelsäulenchirurgie? Ohne Steri Inhouse? Super Idee…
Es gibt so manche Ungereimtheit auf https://gssag.ch/abstimmung/ unter „Welche Leistungen bietet das neue Spital an?“:
„Orthopädie (elektive Erstprothesen wie Hüfte Knie, Schulter, Fuss und Wirbelsäulenchirurgie), Handchirurgie.“
Stationäre(!) Fälle im Bereich der Handchirurgie – ohne OP-Mikroskop, ohne genug Platz im OP und ohne Facharzt Handchirurgie 24/7 vor Ort oder in Rufbereitschaft? Um was für Fälle soll es sich denn dabei bloss handeln?
Es ist einfach ungeheuerlich!!
Dem Bericht gibt es nichts beizufügen. Super zusammengefasst. Danke.