(abg) Nach dem Scheitern des Solarprojekts SolSarine liessen die Reaktionen der Initianten aufhorchen – denn das Abstimmungsergebnis passte offenbar gar nicht in das Wahrnehmungsbild der Gründer. Fragt sich also, wieso die Gründer derart auf der falschen Spur gelandet sind. Und die Antwort wird uns zu LinkedIn führen.
Es gab reichlich Kritik am grossen Solarprojekt der SolSarine, nicht zuletzt auf dieser Plattform: Der Beitrag «Alpine Solaranlage SolSarine: Zerstörte Landschaft und viele offene Fragen» ist der meistgelesenste Text, der hier jemals veröffentlicht wurde – und die Klicks kamen fast alle in den ersten 36 Stunden. Kein Wunder: Brachten unsere etablierten Regionalmedien von Saanen bis zum Oberländer doch fast nur die Abstimmungspropaganda der Initianten auf ihre Seiten. Ausgewogene Information hätte anders ausgesehen.
Ausführlich berichtete dann der Anzeiger von Saanen nach der SolSarine-Abstimmung und holte dabei eine Vielzahl von Stimmen ein. Und die zeigten deutlich, wie sehr die Initianten Furrer, In-Albon und Scherz offenbar in einer selbstgebackenen Parallelwelt leben.
Bei der Suche nach den Schuldigen für das eigene Scheitern waren die SolSarine-Macher dann auch nicht verlegen: Die Stiftung Landschaftsschutz habe sich in einer «Last-Minute-Aktion» gegen das Projekt ausgesprochen – obwohl vor zwei Monaten eine harmonische Einfügung der Anlage ins Landschaftsbild attestiert worden sei, so In-Albon auf LinkedIn.
Und auch Tourismusdirektor Flurin Riedi wurde als Schuldiger ausgemacht – weil er das Projekt nicht öffentlich bejubelt habe. Hat er nicht? Stimmt: «Die gewählten 13 Standorte befinden sich mitten im schönsten und wertvollsten Natur- und Wandergebiet, das vor allem im für uns immer wichtiger werdenden Sommer von ganz grosser Bedeutung ist», zitiert ihn der Anzeiger von Saanen. Schon jetzt fragt sich der geneigte Leser vermutlich: Was haben die SolSarine-Leute denn um Himmels Willen erwartet?
Und das war nicht alles: Andrea Scherz bezeichnete die Nein-Stimmer als «egoistisch», In-Albon doppelte mit «[die Mehrheit] will einfach ihre eigene Landschaft nicht für diesen Ausbau hergeben» nach. Ach wirklich? Das war jetzt überraschend?
Und Lorenz Furrer brachte es mit unfreiwilliger Drolligkeit auf den Punkt: «Dies war schon damals beim Ausbau des Autobahnnetzes ein Problem.» Furrer stellt die Umwelt- und Landschaftsverträglichkeit des Solarprojektes damit auf eine Stufe mit einem Autobahnbau. Warum er bei einer solchen Einsicht vom Ergebnis in Saanen trotzdem überrascht ist? Dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Wegen LinkedIn.
Linked-was?
Aber was ist LinkedIn denn überhaupt? Nun, Wikipedia sagt: «LinkedIn … ist ein soziales Netzwerk zur Pflege bestehender Geschäftskontakte und zum Knüpfen von neuen geschäftlichen Verbindungen.» Immer noch nicht klar?
Gut, dann mal ganz ungeschönt in einfachen Worten: LinkedIn ist so eine Art Facebook für Leute, die sich für wichtiger halten, als der grosse Rest der Menschheit. Für intelligenter, für erfolgreicher und für reicher. Und natürlich für all jene, die das gern sein möchten. Ein Sammelbecken für Dummschwätzer, Buzzword-Speier, Coaches aller Couleur, Wichtigtuer und Leute, die sich in ihren Träumen schon als der nächste Bill Gates sehen – aber es bislang leider nur zum nächsten John Doe gebracht haben.
Leute mit grossem Sendungsbewusstsein und der Überzeugung, immer alles besser zu wissen. Zu welchem Thema ist da eigentlich auch egal. Während sich bei jeder Fussballweltmeisterschaft, die glücklicherweise nur alle vier Jahre stattfindet, jeder Heini für den besseren Nati-Coach hält, ist LinkedIn Dauerzustand: Besserwisser zu allen Themen der Wirtschaft, Politik und Geschichte. Natürlich immer super-innovativ, immer Vorreiter, immer «Leuchtturm». Mit weniger gibt sich da gar keiner ab. Und wer zweifelt, hat es nicht verstanden. Ist ein geistiger «Nichtschwimmer».
Die Stimmung ist geprägt von Glückskeks-Sprüchen für das mittlere Management: «Du kannst alles schaffen, wenn du es nur wirklich willst.» «Es gibt keine Limits, nur die, die du dir selbst setzt.» Alles ist «tschakka!!!» Was in jedem soliden Grossprojekt selbstverständlich sein sollte, ein «advocatus diaboli», dessen ausdrückliche Aufgabe es ist, Schwächen und Fehler eines Konzepts (rechtzeitig!) aufzudecken und zu thematisieren, ist in dieser Scheinwelt undenkbar. Genies irren nämlich nicht.
Schräge Parallelwelt – Selbstkritisches Hinterfragen verboten
Wer in dieser virtuellen Parallelwelt aktiv ist, kann dann auch schonmal die Bodenhaftung verlieren. Denn auf LinkedIn ist immer alles super. Mindestens. Warum die Abstimmung in Saanen verloren wurde: «Not in my backyard», sagt In-Albon auf LinkedIn. Seine Saaner Mitbürger wollten zwar grüne Energie, aber nicht vor ihrer Haustür. So einfach ist das. Und während In-Albon von den Stimmbürgern und Interessengruppen höfliche, aber deutliche Kritik einstecken musste (und offenbar als «irrelevant» auf die leichte Schulter genommen hat), lässt ihn die LinkedIn-Community nicht fallen.
Auf LinkedIn kann In-Albon weiter Zustimmung ernten: Ohne irgendwelche Ahnung von den Hintergründen wird ihm zur Seite gesprungen: «Das Volk fällt halt leider nicht immer kluge Entscheide…» heisst es dort. Die Vorstellung, dass die Stimmbürger der Gemeinde Saanen einen klugen Entscheid getroffen haben könnten, weil sie das einzige vorhandene Kapital der Region geschützt haben, kommt dort niemandem in den Sinn.
Dummerweise sind die Stimmen aus LinkedIn nicht repräsentativ. Eine Mehrheit bei einer Gemeindeversammlung wird eben nicht auf LinkedIn gewonnen. Sondern da, wo es unter Umständen auch weh tut. Wo man sich nicht in vermeintlich elitären Zirkeln trifft und gegenseitig auf die Schulter klopft. Sondern da, wo die Kritiker sitzen. Und da muss man eben auch auf die Zwischentöne hören.
Dass eine Stiftung Landschaftsschutz keine förmliche Einsprache gegen das Projekt erheben wollte, wenn die Gemeindeversammlung zugestimmt hätte, mag sein. Bedeutet aber eben nicht, dass man das Projekt unterstützt. Wenn man nur hört, was man hören will, dann erlebt man beim Showdown eben vielleicht auch eine Überraschung.
Wie wirkt sich das Projekt auf den Tourismus aus? Welchen Aktienanteil sollen lokale Kleinanleger insgesamt im Beteiligungsprogramm erhalten? An wen wird der erzeugte Strom denn wirklich verkauft und wohin kann der Käufer ihn leiten? Wesentliche Fragen, auf die die SolSarine keine verbindlichen, schriftlichen Antworten für die Stimmberechtigten hatte. Oder die Antworten nicht geben wollte, weil sie nicht in das Bild gepasst hätten, welches die SolSarine gern vermitteln wollte.
Es ist daher bezeichnend, dass die Macher die Schuld für das eigene Scheitern ausschliesslich bei anderen suchen. Bei Quertreibern, bei Gemeinderäten, Tourismusdirektoren und natürlich bei den ganzen Stimmberechtigten, die mit Nein gestimmt haben – aus «Egoismus». Oder aus Dummheit? Man ist versucht, den SolSarine-Leuten einen Spiegel zu schenken.
Wie schon zuvor die GSS, die nach ihrem dreimaligen(!) Scheitern ebenfalls keine eigenen Fehler erkennen konnte, kommt auch den Verantwortlichen der SolSarine nicht in den Sinn, dass sie es einfach selbst und ganz allein verbockt haben. Macht aber nichts: Sie können ja zurück zu LinkedIn und dort im Kreise gleichermassen lernresistenter Wichtigmenschen die Wunden lecken und über das dumme Volk schimpfen.
P.S. Ist es wirklich Zufall, dass die Teams bei beiden gescheiterten Grossprojekten (SolSarine und GSS) ausschliesslich aus Männern bestanden?
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