(abg) Es kam nicht ganz unerwartet: Eine Abstimmungsbeschwerde aus Lauenen greift das Ergebnis der GSS-Abstimmung vom 19. November 2023 an. Das Ziel ist klar: Eine Wiederholung der Abstimmung in Lauenen, mit dem das GSS-Projekt dann doch noch umgesetzt werden könnte. Ein fataler Irrtum mit weitreichenden Folgen.
Abstimmungsbeschwerde: Wegen «Einmischung» aus Gsteig
Offenbar war der Anzeiger von Saanen am besten und schnellsten informiert – vermutlich von den Beschwerdeführern selbst. Oder Kreisen, die den Beschwerdeführern nahestehen. Der genaue Inhalt und die genaue Begründung der Beschwerde ist leider nicht bekannt, aber der Anzeiger von Saanen bezieht sich für Details auf das «Pro Komitee»:
Das erinnert auffällig an die Äusserungen der sechs Gemeindepräsidenten im Nachgang zur Veröffentlichung des Expertengutachtens von Muller Healthcare Consulting, welche die Gemeinde Gsteig am 3. November öffentlich gemacht hatte und das hohe Wellen geschlagen hat (vgl. auch Es bleibt dabei: GSS-Businessplan ist Rezept für ein Desaster):
Offenbar greift auch die Abstimmungsbeschwerde genau diesen Punkt als wesentlich auf.
Aussichtslose Beschwerde
Sofern die Beschwerdeführer aber keine besseren Argumente in ihrer Beschwerde vorbringen können, dürfte die Abstimmungsbeschwerde von vornherein aussichtslos sein.
Dabei liegen die Beschwerdeführer zunächst einmal gar nicht falsch. Denn unzulässige Einmischungen in den Abstimmungskampf können in der Tat zum Erfolg einer Abstimmungsbeschwerde führen: «Die in der Bundesverfassung verankerte Garantie der politischen Rechte (Art. 34 Abs. 1 BV) schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV). Geschützt wird namentlich das Recht der aktiv Stimmberechtigten, weder bei der Bildung noch bei der Äusserung des politischen Willens unter Druck gesetzt oder in unzulässiger Weise beeinflusst zu werden. Sie sollen ihre politische Entscheidung gestützt auf einen gesetzeskonformen sowie möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung. Aus Art. 34 Abs. 2 BV wird namentlich eine Verpflichtung der Behörden auf korrekte und zurückhaltende Information im Vorfeld von Abstimmungen abgeleitet. Diese unterliegen den Geboten der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit. Behördliche Informationen müssen geeignet sein, zur offenen Meinungsbildung beizutragen, und dürfen nicht in dominanter und unverhältnismässiger Art im Sinne eigentlicher Propaganda eine freie Willensbildung der Stimmberechtigten erschweren oder geradezu verunmöglichen», formulierte z.B. das Bundesgericht in einem Urteil vom 4. September 2014.
Doch handelte es sich bei den Aktivitäten der Gemeinde Gsteig eben nicht, wie von den Beschwerdeführern wohl behauptet, um eine «Einmischung in fremde Angelegenheiten», die mit dem Gebot der Zurückhaltung von Behörden in Widerspruch stehen könnte, noch um unsachliche Abstimmungspropaganda.
Gemeinderat Gsteig war in eigener Sache aktiv
Tatsächlich war der Gemeinderat von Gsteig in Bezug auf die Einholung des Expertengutachtens von Muller Healthcare Consulting und der Veröffentlichung des Berichts in einer Sache der eigenen Gemeinde aktiv.
Rekapitulieren wir die Abläufe kurz: Am 25. August 2023 fanden die Gemeindeversammlungen in allen sieben Gemeinden des Obersimmentals und Saanenlandes mit den Abstimmungen zur GSS statt. Während die Vorlage in sechs Gemeinden klar angenommen wurde, scheiterte sie in der Gemeinde Gsteig knapp. In der Folge beschlossen die Vorsitzenden der sechs zustimmenden Gemeinderäte, eine leicht angepasste Vorlage in einer Urnenabstimmung am 19. November 2023 in ihren Gemeinden noch einmal zur Abstimmung zu bringen. Mit der offensichtlichen Erwartung, dass diesmal alle gefragten Gemeinden auch zustimmen würden.
Die Gemeinde Gsteig war damit seit dem 25. August «aus dem Spiel» und hatte nichts mehr mit den Abstimmungen zu tun – und hatte sich daher jeder weiteren Einmischung in die neu angesetzte Abstimmung zu enthalten. Oder? Etwa doch nicht?
Eben nicht! Denn auch in der Gemeinde Gsteig war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Gemäss den Reglementen der Gemeinde Gsteig kam es nach dem 25. August 2023 nämlich zu einer einem Wiedererwägungsantrag, mit dem die Abstimmung zum GSS-Geschäft in Gsteig wiederholt werden sollte:
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass auch in Gsteig noch einmal über das GSS-Geschäft abgestimmt werden würde – und zwar bereits auf der nächsten ordentlichen Gemeindeversammlung, die für den 8. Dezember 2023 vorgesehen war und was die Gemeinde Gsteig dann auch so öffentlich gemacht hat.
Ergebnis: Die Gemeinde Gsteig hatte nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, ihre Stimmbürger über die GSS-Vorlage zu informieren. Dass solche Informationen dann auch im restlichen Saanenland und Simmental Beachtung finden würden, brauchte die Gemeinde Gsteig nicht kümmern: Denn gerade eine so komplexe Information wie ein 60-seitiges Fachgutachten ist selbstverständlich frühestmöglich den Stimmbürgern für die Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen. Ein gewolltes (vorübergehendes) Geheimhalten wäre auch mit den Regelungen des Informationsgesetzes offensichtlich unvereinbar.
Keine unsachliche Abstimmungspropaganda
Mit der Veröffentlichung des Expertengutachtens und der Medienmitteilung der Gemeinde Gsteig, in der diese vor allem das Fazit aus dem Gutachten zitierte, wurde auch keine unsachliche Abstimmungspropaganda betrieben.
Zunächst ist festzuhalten, dass in keiner der betroffenen Gemeinden irgendwelche bekannte Kompetenz in Fragen des Gesundheits- bzw. Spitalmanagements vorhanden ist – schon deshalb, weil die Gemeinderäte und die Gemeindeverwaltungen mit dieser Thematik in den vergangenen Jahren nichts zu tun hatten. Es handelt sich nämlich von Gesetzes wegen um kantonale Aufgaben.
Da bekanntermassen die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) den von ihr erarbeiteten sog. «Businessplan» auch keiner einzigen Gemeinde in vollem Umfang zur Prüfung zur Verfügung gestellt hat (vgl. auch GSS-Konzept: Gemeinderäte sind ahnungslos – und noch stolz darauf), waren die Gemeinderäte faktisch gar nicht in der Lage, den von der GSS initiierten Antrag und die dazugehörigen Unterlagen eigenständig zu prüfen: Es fehlte schon an der fachlichen Kompetenz und an vollständigen Unterlagen.
In einer solchen Situation hat ein pflichtgemäss handelnder Gemeinderat eigentlich nur zwei Optionen: Entweder, er bringt das Geschäft gar nicht erst vor die Gemeindeversammlung, weil es mangels ausreichender Informationen schlichtweg nicht entscheidungsreif ist. Oder er holt sich Fachkompetenz von aussen, um zu einer fachlich kompetenten Beurteilung des Geschäfts zu gelangen. Der Gemeinderat von Gsteig entschied sich – spät, nämlich erst im zweiten Anlauf, aber immerhin – für die zweite Variante.
Die Gemeinderäte der anderen Gemeinden hatten hingegen (blindes) Vertrauen in die GSS: «Die werden schon richtig liegen», dürfte das Motto gewesen sein. Oder «wird schon gut gehen!» – eine Ansage, die juristisch vorgebildete Menschen hellhörig werden lässt, denn das ist grob fahrlässig.
Klar ist jedenfalls: Mit der Veröffentlichung eines Fachgutachtens von einer renommierten, einschlägig kompetenten Unternehmensberatung, hat die Gemeinde Gsteig vor allem sachliche Information geliefert. Vor allem auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die bis dahin veröffentlichten Informationen nahezu ausschliesslich von der GSS AG selbst stammten: So bestanden die Abstimmungsinformationen in allen Gemeinden vor allem aus einem umfangreichen Textwerk der GSS, in dem lediglich im hinteren Teil noch Platz für eine Stellungnahme des jeweiligen Gemeinderates vorgesehen war.
Auch die «Informationsveranstaltungen» der GSS waren vor allem orchestrierte und durchgeplante Werbeveranstaltungen. Vor allem die Veranstaltung vom 8. August 2023 in der Simmental Arena (Video unter https://youtu.be/IRhoFzH2I-g) erfolgte in diesem Sinne: Ein Moderator warf den GSS-Protagonisten die abgesprochenen Bälle zur werblichen Selbstdarstellung zu, die anschliessende Fragerunde wurde vor allem von regionalen Politikern wie z.B. Erich von Siebenthal und Thomas Knutti dazu genutzt, sich selbst zu produzieren und für ein Ja zu werben. Hemmungs- und rücksichtslos klauten die Herren dem «einfachen» Publikum die Zeit für echte Fragen. Ob dieses Verhalten auch schon von der GSS arrangiert war? Unerwartet kam es jedenfalls nicht.
Ausgewogene Informationen gab es jedenfalls von Seiten der GSS und der Gemeinden (mit Ausnahme von Gsteig) bis zu den Abstimmungstagen keine. Dass einige Aktivisten gern den Kritikern den Mund ganz verbieten wollten, hatte ich bereits an dieser Stelle (unten) thematisiert. Der dortige Beschwerdeführer ist mit seinen demokratiefeindlichen Ansinnen jedoch beim Regierungstatthalter und dem Verwaltungsgericht Bern krachend gescheitert. Nichts anderes ist diesmal zu erwarten.
Schaden für die Gesundheitsversorgung der gesamten Region
Klar ist jedenfalls: Mit der Abstimmungsbeschwerde schwächt sich die Region selbst. Die Spital STS AG wird, im Auftrag und mit Billigung des Kantons Bern, ein Minimalkonzept für ein «Gesundheitszentrum» entwickeln. Eine Einrichtung, die möglichst billig ist – aber nicht den Bedarf deckt.
Bruno Guggisberg, CEO der Spital STS AG hatte es am 8. August 2023 ja bereits deutlich gesagt:
Anstatt blindlings der neuen Medienmitteilung der Spital STS zu glauben, wäre eine starke regionale Vertretung dringend erforderlich, die bereits jetzt dafür sorgt, dass der Kanton seiner Verantwortung weiterhin gerecht wird – und der Spital STS AG entsprechende Vorgaben macht.
Mit der Spaltung der verschiedenen regionalen Akteure, die durch die Abstimmungsbeschwerde noch über Monate fortbestehen wird, ist die Region ein leichter Gegner für politische Spiele: Divide et impera – wobei die Teilung der Kräfte schon von der Region selbst erledigt wird.
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