(abg) Seit fast 1,5 Jahren ist sog. «künstliche Intelligenz» in aller Munde – und wird gerade bei Laien für nahezu unfehlbar gehalten. Sensationelle Geschichten, in denen Studenten ein Master-Studium nur mit KI (oder neudeutsch AI für Artificial Intelligence) bewältigt haben, sorgen in bunten Blättern für Aufsehen. Die Realität sieht viel nüchterner aus: Überzeugend klingendes Geschwafel ohne fachliche Substanz ist der Normalfall. Fakten zur Klarinettistin Sabine Meyer wollte ich wissen, und daran scheiterten die Maschinen gnadenlos. Kann die neueste Generation von ChatGPT dann wenigstens treffsicher die Zukunft vorhersagen? Dann wäre das Geheimnis um die neue Intendantin des Gstaad Menuhin Festivals bereits gelüftet…
Mit dem Erscheinen von ChatGPT im November 2022 kam Stimmung auf: Goldgräberstimmung bei den einen, Panik und Entsetzen bei den anderen. Job-Killer oder Treiber in der Wissenschaft? Übernehmen die Maschinen jetzt die Macht wie in den legendären Terminator-Filmen mit Arnold Schwarzenegger? Viel wurde geredet und sensationelle Geschichten erzählt.
Die Realität sieht brutal und bitter aus: Die Large Language Models, die Grundlage aller heutigen «künstlichen Intelligenzen», sind vor allem eines: strohdoof. Das aber im Brustton der Überzeugung. Und das geht auch gar nicht anders: Denn: anders, als die meisten Menschen glauben, sind diese Modelle nicht besonders clever und auch nicht besonders wissensstark. Vielmehr erraten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Antwort das nächste Wort und den nächsten Satz, den ein computergläubiger Mensch wohl erwarten würde. Das haben sie gelernt: Den Menschen das unterzujubeln, woran sie gern glauben möchten. Nicht mehr, nicht weniger.
Durchgefallen: der «Sabine-Meyer-Test»
Was den meisten Anwendern dieser Tools überhaupt nicht klar ist: Ohne feste Internet-Anbindung greifen diese KI-Werkzeuge nicht auf irgendein konkretes Wissen zu. Kein Brockhaus (wenn Ihnen dieser Begriff noch etwas sagt, sind Sie schon ziemlich alt…), kein Wikipedia, kein gar nichts. Vielmehr phantasieren sich diese Tools aus einer riesigen Menge an Trainingsdaten irgend etwas zusammen, was mit der Realität unter Umständen nicht das Allergeringste zu tun hat. Glauben Sie nicht? Dann machen wir den Test!
Die Testaufgabe: Sabine Meyer. Geboren 1957. Klarinettistin. Weltklasse. Letztes Jahr auch beim Gstaad Menuhin Festival mit dem bedeutenden (aber ziemlich abgenudelten) Klarinettenkonzert von Mozart. Warum es immer und immer wieder das Mozart-Konzert sein muss, in dessen schönen, aber auch sterbenslangweilig-dahinsiechenden zweiten Satz die Hälfte des Publikums einschläft, müsste man die Intendanten dieser Welt fragen. Ist ja nicht so, als ob es für die Klarinette keine andere Literatur geben würde. Nielsen? Copland? Weber? Spohr? Nur um mal die Bekanntesten zu nennen. Hören Sie doch mal in etwas rein: Es muss nicht immer Mozart sein – und auch nicht immer Sabine Meyer.
Zurück zu Meyers Mozart: Es gäbe einiges dazu zu sagen, vor allem, dass Meyer das Werk nicht in der Bearbeitung für die gewöhnliche A-Klarinette spielt, sondern in der Urfassung mit einer modernen Bassettklarinette. Ein Instrument, das im Wesentlichen nur für das Mozartsche Klarinettenkonzert und das ebenfalls von Mozart komponierte Klarinettenquintett Verwendung findet – wenn der Solist ein solches Instrument denn spielt. Aber nun, waren ohnehin Perlen vor die Säue: Von den Konzertkritikern des Meyerschen Auftritts in Gstaad hat das schlichtweg niemand bemerkt. Oder gar nicht gewusst. Ist ja auch egal, Hauptsache die Flöte klingt schön…
Zurück zu Meyer: Die wurde nämlich 1982 auf Geheiss von Herbert von Karajan mit einem Vertrag für die Berliner Philharmoniker ausgestattet und wurde damit, nach der Schweizerin Madeleine Carruzzo, die zweite Frau in der Geschichte der Berliner, die einen festen Vertrag bekam. Doch der Orchestervorstand wehrte sich gegen Meyer. Weil sie eine Frau war, sagen die einen. Weil Karajan den Orchestervorstand überging, sagen die anderen. Lediglich an ihrer Fähigkeit als Musikerin hatte niemand Zweifel. Wie auch immer: Sie wurde zum Spielball zwischen den Fronten und verliess die Berliner neun Monate später mit einem Paukenschlag wieder. Und startete als Solistin dann weltweit durch.
All das geschah 1982/1983. Entsprechende Quellen sind im Internet verfügbar, Meyer setzte ihre Karriere bis heute als Solistin und Professorin fort. Man sollte meinen, das sei für eine Intelligenz, auch für eine künstliche, eine leichte Übung.
Nachfolgend Antworten von KI-Tools ohne Internet-Zugang. Warum? Die Tools, die mit Internet-Zugang arbeiten, zitieren heute praktisch 1:1 Wikipedia. Und das hat nun wirklich nichts mit Intelligenz zu tun. Oder?
ChatGPT 3.5 (ohne Internetzugang)
Mit ChatGPT 3.5 haben wir sozusagen die Mutter aller LLM-Modell am Start. Wer ist Sabine Meyer?
Gut angefangen, katastrophal aufgehört: Nein, sie war nicht 10 Jahre bei den Berlinern. Aber das war – soviel sei bereits verraten – bereits die beste Antwort von KI-Tools ohne laufenden Internet-Zugriff.
Mistral 7.2B
Das Mistral-Modell wird immer wieder für seine Schnelligkeit und Zuverlässigkeit gelobt und ist auch lokal auf «Haushaltscomputern» ausführbar – so wie bei mir. Doch taugt es auch?
Nach dem Ende ihrer Tätigkeit bei den Berliner Philharmonikern hat sie eine erfolgreiche Solokarriere aufgenommen und tritt regelmäßig in Konzerten, Festivals und Kammermusik-Projekten weltweit auf. Als Lehrkraft leitet sie die Meisterklasse für Bratschen an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin.Mistral 7.2B auf die Frage: «Spielte Sabine Meyer jemals bei den Berliner Philharmonikern?», Modellstand: Mai 2024
Himmel hilf! Was für ein kompletter Unsinn. Ich fragte also nochmal nach: «Bist du sicher? Oder hast du das gerade erfunden?» Ob eine künstliche Intelligenz selbstkritisch eigene Antworten reflektieren kann?
Die fehlerhafte Grammatik ist genauso original wie der inhaltliche Unsinn.
WizardLM2
Das 7B-Modell WizardLM2 stammt aus dem Hause Microsoft und ist, wie auch das Mistral-Modell, auf Heimcomputern lauffähig (wenn man etwas Geduld für die Antwort mitbringt). Microsoft? Da sollten doch Profis am Werk sein? Sind es sicherlich auch – ändert aber nichts an den Schwächen der Technologie:
Sabine Meyer spielte in der Vergangenheit auch bei den Berliner Philharmonikern, aber ihre Mitwirkung kann je nach Saison und Projekt variieren. Im Alter von 71 Jahren im Jahr 2021 teilete sie mit, dass sie ihre Rolle als erste Oboistin beim Orchester zu einem größeren Teil verkleinert hat, um mehr Zeit für andere künstlerische Projekte und persönliche Interessen zu haben.WizardLM2, 7B auf die Frage: «Spielte Sabine Meyer jemals bei den Berliner Philharmonikern?», Modellstand: Mai 2024
Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll – WizardLM2 hat den Text eigentlich von vorn bis hinten komplett halluziniert. Da stimmt einfach überhaupt gar nichts.
Dolphin 2.9
Dolphin 2.9, auch bekannt als dolphin-llama3 ist ein Ableger des Llama-Sprachmodells des Meta-Konzerns (früher: Facebook). Zum Einsatz kam die 8B-Grösse – wiederum die Variante, die gerade noch auf haushaltsüblichen PCs lauffähig ist – wenn man Geduld mitbringt.
Beeindruckend. Nur leider spielt Sabine Meyer nicht Violine und sie war auch nie «künstlerische Direktorin» bei den Berlinern. Ein Trauerspiel. Auch Dolphin fragte ich, ob das vielleicht ein Irrtum sei:
Autsch. Wenn ich jetzt noch suggestiv gefragt hätte, hätte Sabine Meyer vermutlich auch noch einen Friedensnobelpreis gewonnen. Ganz schön kreativ dieses Dolphin.
ChatGPT 4: Das neue Orakel von Delphi?
Wie sich gezeigt hat, taugen die KI-Modell herzlich wenig, wenn es darum geht, konkrete Fakten aus der älteren und jüngeren Geschichte zu erfahren. Da wird gesponnen und phantasiert, was das Zeug hält. Computer auf Drogen sozusagen.
Da liegt der Vergleich zum Orakel von Delphi nahe, denn die weissagende Priesterin in Delphi sass bekanntlich über einer Erdspalte, aus der «Dämpfe» aufstiegen, die zu einem Drogenrausch geführt haben könnten. Was liegt also näher, als die benebelte KI zu einem Ereignis in der Zukunft zu befragen?
Naheliegend wäre die Frage, wer wohl die Fussball-Europameisterschaft gewinnen würde. Aber das ist ebenso banal, wie ausgelaugt. Und passt auch nicht zum Sabine-Meyer-Test. Also, bleiben wir bei klassischer Musik und bleiben wir in Gstaad:
Nach über zwei Jahrzehnten als Intendant des Gstaad Menuhin Festivals gibt Christoph Müller die künstlerische Leitung Ende 2025 ab. Die prägendste und bedeutendste Position beim Festival muss damit neu besetzt werden. Doch: Wer wird es?
Als die Intendanz am Lucerne Festival 2023 vakant war, war die deutsche Star-Geigerin Anne Sophie Mutter eine heisse Kandidatin – und es wäre schon auch eine Sensation gewesen. Nun, sie wurde es nicht. Wird Mutter nun die neue Intendantin in Gstaad?
ChatGPT sieht es anders:
Eigentlich hatte ich mit einer wachsweichen Antwort gerechnet. Einer Antwort, die alles irgendwie offen lässt. Aber das? So konkret?
In der Tat: Patricia Kopatchinskaja ist eine völlig logische und schlüssige Wahl. Und auf Nachfrage begründet ChatGPT noch weiter:
Tja: Haben Sie einen besseren Tipp als die künstliche Intelligenz?
Sie wissen mehr über dieses Thema? Dann melden Sie sich! Auch sofort: per Whatsapp. Alle Nachrichten werden vertraulich behandelt; eine Namensnennung erfolgt nur mit Ihrem ausdrücklichen Einverständnis.