(abg) Die Ereignisse rund um das Spital Zweisimmen überschlagen sich derzeit förmlich, die Gemeindevertreter sind «schockiert». Und das, obwohl alle «Player» in diesem Spiel auf dem Rücken der Bevölkerung und des Spital-Personals dasselbe wollen: Stillstand. Würde jemand so freundlich sein und unseren Regierungsräten, Gross- und Gemeinderäten, CEOs und sonstigen Dampfplauderern deutlich machen, dass die Welt sich trotzdem weiter dreht und «Stillstand» keine Lösung ist?
Die Empörung in der Region ist gross: Die Spital STS AG verweigert die Übergabe des Spitals Zweisimmen an die private Klinikgruppe Medaxo, entgegen der Anweisung von Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg. Der Verwaltungsrat der Spital STS AG begründet seinen Widerstand mit einem Schreiben der Finanzkontrolle des Kantons Bern. Darin wird die Rechtmässigkeit der Finanzierung der Medaxo durch den Kanton infrage gestellt. Der Verwaltungsrat sieht keine gesetzliche Grundlage für die von Schnegg zugesagten Gelder und wirft ihm vor, die Finanzkompetenzen des Grossen Rates zu missachten. Wir hatten das Thema ja kürzlich schon hier.
Gemeinde- und Grossräte sind «schockiert»
«Wir sind schockiert über das Vorgehen der STS AG», äussern sich die Gemeindevertreter des Obersimmentals und des Saanenlands in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Ach Du meine Güte. Man ist «schockiert»?!? Ja gut, wenn man in den letzten 10 Jahren fest die Augen vor der Realität verschlossen hat und nun plötzlich auf den harten Boden der Realität von wirtschaftlichen Interessen und rechtlichen Normen fällt, dann mag das schon sein.
Die Spital STS AG als privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft möchte ihre Verluste mit dem Standort Zweisimmen minimieren? Oh, damit konnte ja nun wirklich niemand rechnen! Und Regierungsrat Schnegg muss sich an die gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich der Verwendung von kantonalen Geldern halten? Hoppla – mit juristischem Kleinkram haben wir uns doch in der Vergangenheit auch nie aufgehalten, sondern immer irgendwas gemauschelt – wieso stellen die sich im Grossen Rat denn jetzt plötzlich so an? Nur wer so denkt, oder dachte, kann ernsthaft «schockiert» sein…
Immerhin wurden die Regionalpolitiker aktiv: Denn sie eilten in den frühen Morgenstunden des 6. Juni 2024 nach Bern, um mit Regierungsrat Schnegg zu sprechen – und ihre Schockiertheit zum Ausdruck zu bringen. Kann man von unseren Politikern denn mehr erwarten?
Trotz der frühen Stunde trudelte eine (regional betrachtet) illustre Runde bei Schnegg ein: René Müller (Gemeindepräsident Lenk), Beatrice Zeller (Gemeindepräsidentin Zweisimmen), Patrick Aegerter (Gemeindepräsident St. Stephan), Anna Bieri (Gemeinderatspräsidentin Boltigen), Toni von Grünigen (Gemeindepräsident Saanen), Grossrätin Anne Speiser, Grossrat Hans Schär, Grossrat Matthias Matti, Grossrat Dominik Blatti und Grossrat Nils Fiechter. Beeindruckend, nicht wahr? Ja gut, es läuft die Juni-Session des Grossen Rates und da dürften die Grossräte wohl ohnehin gerade in Bern verfügbar gewesen sein.
Wie auch immer: Grossen Eindruck haben die Volksvertreter bei Schnegg aber wohl nicht hinterlassen… Denn irgendwelche Ergebnisse oder Zusagen gab es offenbar nicht. Daher blieb der Runde dann auch nichts anders übrig, als wenigstens mal öffentlich «schockiert» zu sein. Das kostet nichts, macht auf leichtgläubige Menschen mächtig Eindruck und ändert nichts an der Situation. Also: es macht die Sache jedenfalls nicht schlechter, als sie schon ist. Nutzt aber auch nichts.
Der böse Verwaltungsrat der Spital STS AG… hält sich plötzlich an Gesetze?
Die Gruppe wirft dem Verwaltungsrat der STS denn auch noch «vorschnelle Schlüsse» und die Torpedierung der Spitalrettung vor. René Müller, Gemeindepräsident von Lenk und Wortführer der aufgebrachten Gemeinden, spricht von einem «grossen Chaos» und sieht die Gesundheitsversorgung in der Region «aufs Höchste gefährdet». Ausserdem habe der Verwaltungsrat der STS «vertrauliche Informationen der Finanzkontrolle» verwendet. Das klingt böse. Aber – ist es das auch?
Nach Berichten des Berner Oberländer hat sich die kantonale Finanzkontrolle direkt an die STS gewendet und diese darauf hingewiesen, dass die geplante Übergabe an die Medaxo, also das Spital Zweisimmen für einen Franken zzgl. 5 Millionen Franken Transferleistung von der STS an das Konkurrenzunternehmen Medaxo, rechtlich unzulässig sei und man zu einer Weigerung rate:
Die Experten gingen sogar so weit, der Spital STS AG zu raten, die Übergabe unter den vorgesehenen Bedingungen abzulehnen. Und an die Adresse des Regierungsrats richten sie die Empfehlung, gleich das gesamte Projekt abzubrechen oder wenigstens zu unterbrechen.Berner Oberländer online: Finanzkontrolle pfeift Regierungsrat Schnegg zurück
Anstatt dankbar zu sein, dass diese Informationen der beteiligten Spital STS AG unverzüglich zugänglich gemacht wurden und damit ein noch grösseres Desaster zu einem späteren Zeitpunkt vermieden wurde, bemängelt Müller faktisch also eine angeblich «böse» Indiskretion. Interessantes Weltbild…
Über weitere Details lässt sich nur spekulieren, aber so schwierig ist es ja nicht: Der Kanton gründet eine kantonseigene Aktiengesellschaft und lässt die vor sich hin werkeln. Und dann gibt der Regierungsrat dem Verwaltungsrat der kantonalen Gesellschaft die «Anweisung», einen Betriebsteil an eine rein private Gesellschaft zu verschenken und obendrauf der privaten Gesellschaft noch 5 Mio. Franken zu überweisen. Und das kommt niemandem juristisch fragwürdig vor?
Um das klar zu machen: Der Regierungsrat hätte unmittelbar aus Kantonsmitteln keine 5 Mio. Franken an die Medaxo überweisen dürfen – dafür fehlt eine Rechtsgrundlage. Über den Umweg der kantonseigenen Spital STS AG hingegen, glaubte Schnegg offenbar, das Recht und den Grossen Rat austricksen zu können. Hat nicht funktioniert. Man muss also nicht lange nach dem Schuldigen für das Desaster suchen – denn der sitzt nicht in Thun bei der STS, sondern in Bern im Regierungsrat.
Gemeindevertreter fordern drei Jahre Stand-by
Offenbar ist auch den Gemeindevertretern bewusst geworden, dass «schockiert sein» alleine noch keine gute Figur macht. Aber was dann? Man muss wenigstens etwas fordern! Und da wird es jetzt geradezu absurd:
Weitere drei Jahre Stillstand? Die gemeindeeigene Gesundheit Simme Saane AG (GSS) sollte innerhalb eines Jahres einen abstimmungsreifen Plan vorlegen – und hatte mit einem löchrigen Grobkonzept vier Jahre später Schiffbruch erlitten. Jetzt will Müller nochmal drei Jahre – sagt aber vorsichtshalber schonmal gar nicht, wer in der Zeit ein Projekt ausarbeiten soll.
Wenn dahinter noch irgendeine Logik stecken sollte, dann kann diese nur lauten: Das Ende des Spitals Zweisimmen so lange wie möglich hinauszögern – dann fällt es auch nicht mehr so auf, dass die gemeindeeigene GSS AG jahrelang unkontrolliert und fehlbesetzt die letzte Chance auf Rettung verspielt hat. Ein Erhalt des Spitals Zweisimmen ist auf diese Weise offensichtlich nicht mehr zu erreichen.
Forderung und Wirklichkeit: Machen die Forderungen überhaupt Sinn?
Doch wie realistisch sind die Forderungen der Gemeinden? Kann der Kanton die Spital STS AG tatsächlich zur Weiterführung des Betriebs zwingen? Gemäss dem Schweizer Obligationenrecht trägt der Verwaltungsrat die Verantwortung für die Geschäftsführung und haftet für Schäden, die durch Pflichtverletzungen entstehen. Er ist insofern an geltendes Recht und die Statuten der Gesellschaft gebunden. Ein Weisungsrecht von Aktionären hingegen? Das ist lediglich die Wunschvorstellung von Pierre Alain Schnegg, hat aber mit der rechtlichen Wirklichkeit nichts zu tun. Besonders dann, wenn die «Weisung» auch noch sachlich rechtswidrig ist. Das sollten inzwischen doch auch die Gemeindevertreter bemerkt haben.
Aber jetzt mal ernsthaft: Die Spital STS AG hat den Auftrag, eine bestimmte Region mit Spitalleistungen zu versorgen und sie ist gebunden an die in der Spitalversorgungsverordnung festgehaltene «Versorgungsnotwendigkeit» des Spitals Zweisimmen. Solange Pierre Alain Schnegg also an der Spitalversorgungsverordnung nicht rüttelt, ist die STS zum Weiterbetrieb rechtlich verpflichtet. Schnegg muss also nicht aktiv etwas tun, sondern lediglich die Versorgungsnotwendigkeit nicht aus der Spitalversorgungsverordnung wegstreichen. Das wäre zunächst einmal eine sachlich-formal sinnvolle Forderung gewesen.
Doch auch die «Versorgungsnotwendigkeit» gilt nicht unbeschränkt: Grundlegendes Prinzip in einem Rechtsstaat ist es nunmal, dass von Rechts wegen nichts verlangt werden kann, was unerfüllbar ist. Geht der Spital STS AG also das Personal aus, um das Spital Zweisimmen noch betreiben zu können, dann ist Schluss mit Spital. Und möglicherweise auch, wenn die Verluste des Spitals Zweisimmen die Existenz des Gesamtunternehmens Spital STS AG bedrohen.
Letztes ist zwar akut nicht sehr wahrscheinlich, da die Spital STS AG in der Vergangenheit geradezu mustergültige Zahlen vorlegen konnte. Doch die Spitäler sind (fast) alle in wirtschaftlicher Schieflage. Die SP-Fraktion kritisiert dies denn auch und fordert eine grundlegende Reform der Gesundheitsversorgung: Das Finanzierungsmodell des Schweizer Gesundheitssystems sei in vielerlei Hinsicht mangelhaft und die Auslagerungsstrategie der Berner Spitäler in privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaften habe klar versagt. In der Konsequenz hält Grossrätin und Vizepräsidentin Maurane Riesen fest: «Mit einer Verstaatlichung der Spitäler nimmt der Kanton das Heft bei der Gesundheitsversorgung wieder selbst in die Hand. Der Fokus liegt dann wieder bei einer guten Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung, statt auf Dividenden und Gewinnen.»
Das wäre also vielleicht doch noch eine Lösung: Ein «Bezirksspital Obersimmental-Saanen» in kantonaler Hand? Aber bleiben wir realistisch. Und bleiben wir «schockiert». Das ist einfacher – da muss man auch nichts weiter tun.
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Danke Armin.
Ich denke wir müssen im Obersimmental/Saanenland froh sein, wenn wir zukünftig ein Gesundheitszentrum haben (… was auch immer dieses für Leistungen anbietet). Die Realität holt uns ein: Mit den gesetzlichen Vorgaben, welche von medizinischer Seite her für ein Spital bestehen, u.a. Vorhalteleistungen wird es unmöglich sein ein so kleines Spital (mit 365/24 Notfall) einigermassen wirtschaftlich zu betreiben. Unsere lokalen Gesundheitsexperten haben sich verrannt und sind von unrealistischen Vorstellungen ausgegangen: Zu einer Sitzung mit „allen Beteiligten“ am 7. Januar 2024 wurden die kritischen Personen (neben mir noch weitere pensionierte Ärzte) gar nicht eingeladen – im Gegensatz zu anderen pensionierten Ärzten, welche das Projekt der GSS vorbehaltlos (?) unterstützten (am Alter kann es also nicht liegen).
So ist es einfach einen Konsens zu finden, indem kritische Stimmen gar nicht gehört und/oder wegdiskutiert werden: wie Du schreibst muss der Regierungsrat Farbe bekennen und die 50km-Regel ändern oder dann das Defizit ohne wenn und aber übernehmen.
Ebenso ist es sehr einfach gegen die STS AG zu schimpfen und diese schlecht zu machen; Als ehemaliger Arbeitnehmer bei der STS AG fühlte ich mich jedenfalls gut aufgehoben und immer ernst genommen.
Danke für deine Recherchen und klaren Worte
Danke für die ausgezeichnete Zusammenfassung der Ereignisse der letzten Tage. Ich kann dem Kommentar von Thomas Naef nur 100 % zustimmen. An Stelle permanent gegen die Spital STS AG zu wettern, sollte sich die Kritik lieber an die wirklichen Schuldigen in Bern richten und wenn man mal ganz ehrlich ist – hätten sich die Gemeinden und der Kanton schon vor vielen Jahren mit einer realistischen und vernünftigen Variante zufrieden gegeben, dann hätte die Region heute bereits ein neues Spital, finanziert von der STS AG. Ich bin wirklich verwundert, dass die Spital STS AG nach dem ganzen Bashing der letzten Jahre aus der Region immer wieder aufrafft und immer noch versucht eine gute Lösung für die Gesundheitsversorgung zu entwickeln. Ich hätte an Ihrer Stelle schon lange aufgeben und alle hingeworfen!
Es gibt ein Sprichwort das heisst „besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“ und vielleicht wäre ein Gesundheitszentrum viel mehr als der Spatz in der Hand.